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Wertschöpfung AOP-IGP und Regionalprodukte Diversifizierung, Produkttransformation

Regionalprodukte: Was ist das überhaupt?

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung: Unterscheidung zwischen Regional- und «Terroir»-Produkten

In der Schweiz gibt es verschiedene private und öffentliche Initiativen, die der breiten Öffentlichkeit «Regionalprodukte» oder «Terroir-Produkte» signalisieren. Die Abbildung 1 stellt diese verschiedenen Initiativen dar, indem sie die Ebene der Typizität der Produkte (konventionell und Spezialität) mit deren Verkaufsstellen kreuzt. Im französischsprachigen Raum wird vornehmend die Bezeichnung «produit du terroir» verwendet, welche die besonderen typischen Eigenschaften eines Produktes noch stärker hervorhebt (siehe Textbox). Auf Deutsch wird vor allem die Bezeichnung Regionalprodukt verwendet, die in dieser Publikation ebenfalls genutzt wird. test2

Textbox: Unterscheidung zwischen «Herkunft» und «Typizität»

Herkunft: Die Herkunft garantiert den Ort der Produktion und/oder der Verarbeitung. Das Herkunftsversprechen kann mit einem weiteren Versprechen bezüglich der Produktionsweise (Bio, Fairtrade…) verbunden sein. Bei verarbeiteten Produkten umfasst das Herkunftsversprechen in manchen Fällen nur den Herstellungsort und nicht die Herkunft der verwendeten Zutaten.

Typizität (besondere typische Eigenschaften): Die besonderen typischen Eigenschaften (Französisch: typicité) erlauben es, Produkte aus der Region von anderen ähnlichen oder vergleichbaren Produkten zu unterscheiden. Die typischen Eigenschaften werden anhand einer Reihe von technischen, sozialen und kulturellen Merkmalen beschrieben, die von einer Referenzpersonengruppe identifiziert und definiert werden und die auf dem gemeinsam geteilten Wissen der verschiedenen Akteure der Wertschöpfungskette beruhen: Rohstoffproduzent/innen, Verarbeiter/innen und Konsument/innen. Die Typizität bildet somit die Grundlage für die Identität des Produktes.

Die vom Bund anerkannten kantonalen und überregionalen Vermarktungsorganisationen, die seit 2015 im Verein Schweizer Regionalprodukte zusammengeschlossen sind, vereinen Herkunft und Typizität in unterschiedlichem Ausmass. Sie haben gemeinsame Richtlinien erarbeitet, die sowohl den Ort der Verarbeitung als auch die Herkunft der Zutaten garantieren. Zertifizierte Produkte werden hauptsächlich in der Region verkauft, sind aber auch in anderen Regionen beliebt.

Produkte mit geschützter Ursprungsbezeichnung GUB (Französisch AOP) und geschützter geografischer Angabe GGA (Französisch IGP) sind ein Spezialfall unter den Regionalprodukten. Sie zeichnen sich durch ihre Herkunft, ihre Typizität und ihren guten Ruf bei den Konsument/innen aus. Diese traditionellen Spezialitäten werden in ihrer Ursprungsregion verkauft, sind aber vorwiegend für den Verkauf auf dem nationalen Markt und für den Export bestimmt. Ihre vom Bund (Bundesamt für Landwirtschaft) geschützten und geregelten Bezeichnungen garantieren ihre Authentizität.

Abbildung 1 – Raster zur Positionierung von Labels mit Regionalitätsversprechen

Quelle: Sophie Réviron, 2020

Die Detailhandelsunternehmen werben gegenüber den Konsument/innen mit einer Eigenmarke für Produkte «aus der Region» (Aus der Region für die Region für die Migros, Miini Region für Coop, Lokal für Manor). Dabei handelt es sich hauptsächlich um konventionelle, frische oder verarbeitete Produkte, die ohne nennenswerten Aufpreis verkauft werden. Das Sortiment umfasst auch typische Spezialitäten, die in der Region hergestellt werden. Diese Eigenmarken sind nur in der jeweiligen Region, in der sie hergestellt werden, im Verkaufsregal. In einigen Kantonen wie beispielsweise Genf wird das Logo der Regionalmarke und das Logo der Handelsmarke gemeinsam auf den Verpackungen angebracht.

Tabelle 1 veranschaulicht die Unterschiede zwischen den vom Bund anerkannten Initiativen zur Anerkennung von Regionalprodukten in Bezug auf ihre Richtlinien.

Tabelle 1: Initiativen zur Anerkennung regionaler Produkte: Vergleich der Zulassungskriterien

Astrid Gerz & Sophie Réviron, 2020

Die Merkmale eines «Regionalprodukts» im engeren Sinne

Die Definition von «Regionalprodukten» ist nicht klar festgelegt. Im weiteren Sinne bezieht sich der Begriff nicht nur auf das Gebiet und dessen geografischen Merkmale (Bodenbeschaffenheit, Klima, Relief usw.), sondern auch auf die Menschen, die es bewirtschaften (Know-how, Rezept, Tradition usw.). Es geht um eine Herkunft (aus einer Region, einem Land oder einem anderen Ort), aber auch um spezifische, in der Geschichte verankerte Praktiken. Die Besonderheit eines Regionalprodukts ist demnach sowohl auf seine Herkunft wie auch auf seine spezifischen organoleptischen Eigenschaften (Geschmack, Textur, Aussehen) und seine spezifische Herstellungsweise zurückzuführen.

Verschiedene Studien1 haben die Erwartungen an die Eigenschaften eines «Regionalprodukts» näher beleuchtet. Die Sichtweise variiert je nach befragtem Publikum. Alle Zielgruppen sind sich jedoch darin einig, dass eine Kombination der folgenden Kriterien zugrunde liegt: eine menschliche Dimension (Know-how, handwerkliche, traditionelle Produktion und begrenztes Volumen) und eine physische Dimension (Verbindung zu dem jeweiligen Herkunftsort, die sich aufgrund von spezifischen Boden- und Klimabedingungen, Flora, Sorten und Rassen in einer agronomischen Differenzierung widerspiegelt). Die Summe dieser Faktoren ergibt den typischen Geschmack und die Qualität, welche das Produkt von anderen abhebt.

Das Konzept «Regionalprodukte» umfasst somit die folgenden Merkmale:

  • ein sorgfältig hergestelltes Produkt, das eine Geschichte erzählt und dessen Produktionsweise und / oder Rezept auf ein regionales oder nationales Erbe zurückgeführt werden kann,
  • aus einer bestimmten Region stammend,
  • eine handwerkliche Herstellung,
  • sensorische Qualitäten (insbesondere Geschmack),
  • ein eher hoher Preis für verarbeitete Produkte
  • ein Produkt, das in der Region häufig konsumiert wird, oder ein Produkt, das zu bestimmten Zeiten im Jahr (insbesondere an Feiertagen) verköstigt wird.

Mehrere Erhebungen haben die Wahrnehmungen verschiedener Gruppen (Expert/innen, Gastwirt/innen, Konsument/innen) mit Likert Skalen getestet. So, die in 2007 von Marie-Hélène Kolly2 durchgeführte Umfrage mit Konsument/innen basierend auf sieben Kriterien. Diese ergab, dass sich die Erwartungen an den handwerklichen Charakter und den typischen Geschmack deutlich von denen herkömmlicher Produkte unterscheiden. Die folgende Abbildung zeigt die Ergebnisse dieser Studie im Detail.

Die Note auf der rechten Hälfte gibt die Übereinstimmung/die Abweichungen der Ansichten zwischen den befragten Personen wieder (Je höher das Einvernehmen, desto höher die Note). Es zeigt sich, dass bezüglich der Bedeutung der definierten geografischen Herkunft keine Einigkeit herrscht. Für einige Konsument/innen ist die Herkunft eine Grundvoraussetzung, für andere steht der Geschmack im Vordergrund.

Abbildung 2: Charakterisierung von «Regionalprodukten» gemäss einer Befragung von Konsumentinnen und Konsumenten (Kolly, 2007)

Das Konzept «Regionalprodukte» ist mehr als nur eine Herkunftsangabe, auch wenn die Regionalität ein wichtiges Kriterium für die Wahl des Produkts ist. Qualität ist eine starke Erwartung vieler Konsument/innen, wie die Ergebnisse verschiedener Marketingstudien zeigen, die in der Schweiz bei Konsumenten/innen durchgeführt wurden. Eine neuere Studie (2022) von htp St. Gallen und LINK3 (Abbildung 3) bestätigt, dass die Herkunft für die Konsument/innen nicht das einzige Kaufkriterium ist. Darüber hinaus zeigt sie, dass Regionalprodukte stark mit Nachhaltigkeitswerten assoziiert und als fast so umweltfreundlich wie Bio-Produkte eingestuft werden. Regionalprodukte werden stark mit «kurzen Verkaufswegen», «sozialer Verantwortung», «Reduzierung von CO2-Emissionen» sowie «fairen Handel» und «gerechten Löhnen» in Verbindung gebracht.

Abbildung 3: Regionale Produkte stehen nicht nur für kurze Transportwege, sondern auch für Nachhaltigkeit und Biodiversität (Quelle: htp St. Gallen & LINK 2022)

Quelle : htp St. Gallen & LINK 2022

Aus geografischer Sicht variiert die Definition von «Regionalprodukten» von Person zu Person, laut einer Umfrage die 2018 von Beelong im Rahmen des PHR-Projekts «Lokaler Konsum im Genferseegebiet» durchgeführt wurde (Abbildung 4). Diese reicht von der Gemeinde bis zur gesamten Schweiz, wobei jedoch der Kanton (31 %) und die Westschweiz (16 %) als Abgrenzung dominieren. Häufig sind die zurückgelegten Kilometer als Indikator relevanter als administrative Grenzen.

Abbildung 4: Was bedeutet es, lokal zu essen? Geografische Grenzen

Quelle: Beelong,Beelong, PHR-Projekt «Lokaler Konsum im Genferseegebiet», 2018

Die Definition von Regionalprodukten ist bei verarbeiteten Produkten komplexer, da es hier oft zu Missverständnissen kommt. Die Verarbeitung durch ein lokales Unternehmen macht ein Lebensmittelprodukt nicht zu einem lokalen Produkt, wenn nicht garantiert ist, dass die Zutaten aus der Region stammen.

Was die Kaufmotive betrifft, so zeigen mehrere übereinstimmende Konsumentenstudien zwei Hauptarten von Beweggründen für den Kauf regionaler Produkte auf: ethnozentrische und egozentrische Gründe. Ethnozentrische Gründe beziehen sich auf gesellschaftliche Auswirkungen, wie die Unterstützung der lokalen Wirtschaft, die Unterstützung von Landwirt/innen oder der Umweltschutz durch kurze Transportwege. Egozentrische Gründe beziehen sich auf individuelle, persönliche Auswirkungen: Geschmack, Frische, Qualität der Kontrolle und die Lebensmittelsicherheit, die mit der Nähe verbunden ist.

Die folgende Abbildung hebt die in der Studie erwähnten Gründe hervor: Orange für die ethnozentrischen Gründe, ökologischen Ziele zur Reduzierung des Fussabdrucks in grün und die egozentrischen Gründe in blau.

Abbildung 5: Konsumentenumfrage «Warum lokal essen?»

Eine Studie zu den Erwartungen der Konsument/innen an «regionales Fleisch aus der Waadtländer Riviera»4 die im Mai 2009 bei 200 Personen vor den Migros-Filialen in Vevey und Aigle sowie auf dem Markt in Vevey durchgeführt wurde, hat eine starke Polarisierung der an einem regionalen Herkunftsversprechen interessierten Personen zwischen zwei Gruppen gezeigt: Eine Gruppe wählte an erster Stelle die Region, die andere an erster Stelle die Qualität. Dies bedeutet, dass eine unzureichende oder allzu heterogene Qualität 50 % der potenziellen Kundschaft abschrecken würde. Die Umfrage hat somit deutlich gemacht, dass Herkunft und Qualität zwei unterschiedliche Versprechen sind, dass aber das Marktpotenzial umso grösser ist, je mehr sie miteinander verknüpft sind.

Im Jura und im Berner Jura5 wurde eine Umfrage über Apfelsaft durchgeführt bei der 342 Personen befragt wurden, die auf Märkten in den Kantonen Jura und Berner Jura sowie in kleinen Läden Apfelsaft einkaufen. 96% der Befragten nehmen einen Unterschied zwischen handwerklich und industriell hergestelltem Apfelsaft wahr. Folgende Unterschiede wurden hauptsächlich wahrgenommen: natürlicherer Charakter / ohne Konservierungsstoffe, Geschmack, höhere Konzentration. Die Befragten bevorzugen handwerklich hergestellten Apfelsaft. Bei gleichem Preis wählen 96 % der Befragten den handwerklich hergestellten Apfelsaft aus dem Jura – Berner Jura. Wenn ein höherer Preis für handwerklich hergestellten Apfelsaft von 1 CHF pro Liter eingeführt würde, würden 79 % der Befragten weiterhin handwerklich hergestellten Apfelsaft bevorzugen.

©AGRIDEA

Diese Studien, die für verschiedene Produkte und Regionen durchgeführt wurden, zeigen, dass Konsumentinnen und Konsumenten Produkte aus der Region bevorzugen, die sich durch ihre geschmacklichen Eigenschaften von herkömmlichen Produkten abheben. Diese Nachfrage ermöglicht es, das Angebot an hochwertigen Produkten zu bereichern, was sowohl den Konsument/innen als auch den Produzent/innen zugutekommt. Wie kann man die Konsument/innen auf regionale Produkte aufmerksam machen und ihre besonderen Qualitäten hervorheben? Welche Versprechen und Garantien bieten die verschiedenen Schweizer Kennzeichnungs- und Zertifizierungssysteme? In den nächsten Abschnitten werden diese Fragen ausführlich beantwortet, beginnend mit der Vorstellung des Inventars des kulinarischen Erbes der Schweiz. 

Sources

  1. Barjolle D., Boisseaux S., Dufour M. (1998), Le lien au terroir: Bilan des travaux de recherché et lexique des concepts-clé, ETH, Institut d’économie rurale; Bérard L., Marchenay P. (2007), Produits de terroir. Comprendre et agir, Bourg-en-Bresse, CNRS – Ressources des terroirs; Delfosse C. (dir.) (2011) La mode du terroir et les produits alimentaires, en particulier le chapitre consacré à la Suisse, Paris : Indes Savantes, en particulier le chapitre consacré à la Suisse ↩︎
  2. Kolly Marie-Hélène, « Commercialisation des produits du terroir primés au Concours Suisse des produits du terroir », ETH Zürich, Diplomarbeit, August 2007 ↩︎
  3. Regionalprodukte 2022 Welche Rolle spielt Regionalität beim Kaufentscheid? Was erwarten Konsument:innen und was sind sie bereit zu zahlen? Eine Studie von htp St. Gallen & LINK in Zusammenarbeit mit der HWZ | Mai 2022 ↩︎
  4. Bardet L., Réviron S. (2009), Enquête sur la viande, Riviera vaudoise, AGRIDEA ↩︎
  5. Von Niederhäusern M. (2010), Enquête sur le jus de pommes, Jura et Jura bernois, Fondation rurale interjurassienne, avec l’appui méthodologique de S. Réviron (AGRIDEA) ↩︎
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